

DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG Richard Wagner
Conductor Gabriel Chmura
Director Michael Sturm & Matthias Engelmann
Stage & costume designer Matthias Engelmann
Choreographer John Jairo Svensson
Die polnische Wiederauferstehung der Meistersinger
Die Inszenierung zeichnet sich dadurch aus, dass weite Teil der szenischen Darstellung durch allegorische Figuren, oft Tänzer, begleitet werden. Auch die Figur Wagners selbst erscheint wiederholt auf der Bühne, der in seinem Ringen um seine eigene Positionierung in der (Musik-) Geschichte das Podest seines zukünftigen Denkmals zu erklimmen versucht. Daneben gibt es u a die tänzerische Doppelung Evas und Stolzings durch Adam und Eva, eine Pan-Figur, den rätselhaften Engel Melancholia nach Dürer und nicht zuletzt einen stilisierten Amor. All diese Darsteller und Tänzer werden in unterschiedlicher Form in die Bühnenhandlung verwoben.
Die weitausschweifende Bilderphantasie der Szene scheint mitunter keine Grenzen zu kennen und mischt optisch Bildelemente der unterschiedlichsten Art und aus unterschiedlichen Genres, die schwer zu enträtseln sind. Sollen sie enträtselt werden? Außer der Festwiese und dem Finale des zweiten Aktes wird der Raum nach hinten durch eine die gesamte Bühnenhöhe ausfüllende Tür begrenzt, durch die viele Protagonisten auftreten. Die Wände sind mit blauer Farbe und kartographischen Elementen wie zur Vermessung des Himmels bebildert. Mit riesigen Buchstaben ist die linke Bühnenseite mit den Worten „WAHN“ und die rechte Seite mit „SINN“ in verlaufenden Buchstaben bemalt. Das Kostüm von Sachs spiegelt zeitweise die Himmelskartographie. Ist er ein Freimaurer? Oder wie sonst vermag er an des Wahnes Faden zu ziehen? Der Bühnenbildner erklärt seine Bildwelten im Programmheft mit der Innenansicht der Psyche des Künstlers Hans Sachs, der im kreativen Prozess durch Wahn und Verstörungen gehen muss.
Das Prügelfinale des entfesselten Bürgertums am Ende des zweiten Aktes wirkt wie die tiefschwarze, deutsche Albtraumvariante eines Sommernachtstraums. Neben Figuren mit religiösen Bezügen erscheinen in der Choreographie von John Svensson auch drei in Strapsen und Gasmaske kostümierte Tänzer, die in verfremdeter Form unweigerlich an die Schützengräben des ersten Weltkrieges erinnern, wenn man die Bilder denn so lesen will.
Nach Sachsens nachdenklicher Ansprache am Ende der Oper gerät ihm die Situation ausser Kontrolle: während die Meister von der Bühne verschwunden sind, marschieren die Nürnberger unaufhaltsam und martialisch einem unbestimmten Ziel entgegen. Die verzweifelten Gesten und Worte Sachsens „... das habe ich nicht gemeint ...“ nimmt es nicht war. Das Unheil scheint seinen Lauf zu nehmen.
- Opera Online -
Einmarsch in Nürnberg
Nach 85 Jahren werden in einem polnischen Opernhaus wieder Wagners „Meistersinger“ gespielt – ein Politikum in Posen
(...) In seiner Arbeit ist das Bemühen erkennbar, auf ein vermutetes Wagner-Unwohlsein mit Empathie und Interpretationslust einzugehen. In riesigen Lettern begleiten die Wörter „Wahn“ auf der linken Bühnenwand und „Sinn“ auf der rechten die Aufführung, die in einen sich nach hinten verengenden Kubus eingekapselt ist, womit sich jede Verbindung zu altdeutscher Gemütlichkeit erledigt. Nürnberg ist der zwar mitgedachte aber niemals gezeigte Ort. Stattdessen bewegen sich die Liebe zwischen Stolzing und Eva sowie der mittelalterlich ritualisierte Song Contest in einem politisch entlasteten, universellen Raum.
Verzichtet wird durchgängig auf unmittelbare politische Deutungen, geboten stattdessen ein mitunter allzu verrätseltes Tableau von kulturgeschichtlichen Hinweisen. Es gibt Bilder vom Sommernachtstraum, von Fabelwesen, von Adam und Eva und dem Paradies, es gibt Anspielungen auf Goethe, Brecht und vieles mehr. In den finalen Massenszenen schreitet Wagner gar selbst und selbstzufrieden das von ihm geschaffene Menschenwerk ab. Die Posener erleben einen Diskurs über die Kunst jenseits aller zeitlichen und nationalen Fixierungen.(...)
- Tagesspiegel -
Wie die „Meistersinger“ wieder nach Polen kamen
(...) Matthias Engelmann hat einen spitz zulaufenden Einheitsraum gebaut, darin sind Zauberzeichen zu sehen und die durch eine große Tür getrennten Worte „Wahn“ und „Sinn“; auch Sachs in seinem Magiermantel scheint eine Art Dumbledore, der stets das Gute will, aber es nicht immer und gleich schafft.
Doch zunächst kommt Richard W. mit Barett und schaut zu, wie der leere Denkmalsockel, der ebenfalls draußen sein beziehungsreiches Pendant hat, besetzt wird: von Bismarck, Christus, Polens Nationaldichter Adam Mickiewicz. Schließlich stehen da Adam und Eva (polnisch züchtig verhüllt), ein heidnischer Satyr und ein babyfetter Amor im Opernparadies.
Auch in der Prügelfuge kommen Popanze als Geister der Vergangenheit aus allen Löchern, und durch das Auditorium, Kapuzenmänner und bestrapste Wehrmachtssoldaten, sogar ein ziemlich weibischer Papst. Dann aber ist der Nicht-nur-Johannisnacht-Spuk vorbei, ausgeblasen von einem schachspielenden Kasperleteufel als Nachtwächter mit Sense und Schellenkappe. (...)
- Die Welt -